„Und es geht dir mit jedem Tag besser, immer besser, besser und besser…“
Nach meinem letzten Songs bekam ich immer wieder Kommentare wie : „Schreib doch mal was Positives!“. Also habe ich mich gefragt, was das eigentlich bedeutet – „positiv sein“. Geht es darum, immer gut drauf zu sein?
Wenn positives Denken zur Pflicht wird
„Sorge dich nicht, lebe!“ – „Du musst nur dran glauben!“ Solche Sprüche hört man überall – in Podcasts, in Coachings, als Buchtitel oder als Zitat unter einem Sonnenuntergangsbild auf Instagram. Sie klingen gut, versprechen Glück und Erfolg, wenn man nur richtig denkt.
Ich selbst habe mit Anfang zwanzig angefangen, Affirmationen zu sprechen. Jeden Abend murmelte ich: „Es geht mir mit jedem Tag in jeder Hinsicht besser und besser.“ Die alte Formel des Urvaters des positiven Denkens Émile Coué. Doch statt mich zu befreien, setzte mich das unter Druck. Wenn es mir nicht besser ging, dachte ich: Dann mache ich wohl etwas falsch.
Zwischen Wunschdenken und Wirklichkeit
Das berühmte Gesetz der Anziehung – „Gute Gedanken ziehen Glück an“ – klingt verführerisch einfach. Doch das Leben funktioniert nicht wie ein Katalog, bei dem man „Bestellungen beim Universum“ aufgibt. Gedanken sind keine Zaubersprüche, sondern Spiegel unseres inneren Zustands.
Echte Veränderung geschieht nicht im Kopf allein, sondern in Kontakt mit anderen Menschen – wenn wir gesehen, verstanden und angenommen werden. Wir Menschen sind Resonanzwesen: Wir brauchen andere, um uns selbst zu erkennen.
Der Mut, auch das Dunkle zuzulassen
Der Gestalttherapeut Arnold Beisser nannte es das „Paradox der Veränderung“: Wandel geschieht, wenn wir aufhören, jemand anderes sein zu wollen – und anfangen, uns selbst zu akzeptieren. Positives Denken bedeutet also nicht, das Dunkle zu verdrängen, sondern ihm freundlich zu begegnen. Denn erst wenn ich sagen kann: „Ja, so fühle ich mich gerade“, entsteht Raum für Heilung und echtes Wachstum.
Zwischen Coaching-Hype und Echtheit
In meinem Song heißt es ironisch: „Spirituell erleuchtet mit Zertifikat – seelisch bankrott im Bewusstseins-Spagat.“
Diese Zeilen sind ein Augenzwinkern – aber auch eine Kritik. Denn wo „Positivität“ zur Pflicht und Spiritualität zum Lifestyle wird, verlieren wir schnell die Verbindung zu uns selbst.
Fazit: Echtes Wachstum ist kein Mantra
Positives Denken kann inspirieren – wenn es ehrlich bleibt. Es geht nicht darum, das Leben in Pastellfarben zu tauchen, sondern sich selbst in allen Facetten zu akzeptieren.
Vielleicht beginnt wahre Veränderung nicht mit dem Satz „immer besser, besser, besser“, sondern mit einem leisen Eingeständnis:
Ich darf so sein, wie ich bin – und genau das ist der Anfang.
