„Verlorenes Paradies“: Der Zwiespalt zwischen religiöser Sozialisation und einem erwachsen existenzialistischen Weltbild. Wie kann Religion helfen, mit der Angst vor dem Leben und dem Tod umzugehen? Was sagen existenzialistische Philosophen über die Angst vor dem Tod?
Religion als Trost vor Lebensangst und der Angst vor dem Tod
Das Bibelzitat „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ ist mein Konfirmationsspruch. Der Bibel zufolge soll Jesus diesen Satz seinen Jüngern gesagt haben, kurz bevor er gefangen genommen und gekreuzigt wird. Damit will er ihnen sagen, dass sie in dieser Welt mit Herausforderungen und Ängsten konfrontiert sein werden und ihnen Mut machen: Denn er selbst habe die Welt besiegt. Dies kann auch als Zusicherung verstanden werden, dass durch Jesus und seinen Sieg über Tod und Sünde Hoffnung und Frieden möglich sind, selbst inmitten der Schwierigkeiten und Prüfungen des Lebens.
Religion kann auf verschiedene Weise helfen, mit Lebens- und Todesangst umzugehen:
- Glaube und Hoffnung: Der Glaube an eine höhere Macht oder an ein übergeordnetes Sinnkonzept kann Hoffnung geben, selbst in schwierigen Situationen. Die Vorstellung von einer göttlichen Führung oder einem größeren Plan kann dabei helfen, dass man trotz der Unsicherheiten des Lebens Zuversicht bewahrt.
- Gemeinschaft und Unterstützung: Religiöse Gemeinschaften bieten oft Unterstützung, Trost und ein Gefühl der Zugehörigkeit. Durch den Austausch mit anderen Gläubigen können Ängste geteilt und gemeinsam bewältigt werden. Dies kann dazu beitragen, dass sich Menschen weniger allein fühlen und sich gegenseitig stärken.
- Rituale und Gebete: Religiöse Rituale und Gebete können beruhigend wirken helfen, Ängste zu bewältigen. Das Gefühl, mit etwas Größerem verbunden zu sein und durch Gebete um Unterstützung zu bitten, kann Trost spenden und ein Gefühl der Kontrolle über die Situation vermitteln.
- Spirituelle Ermutigung: Religiöse Texte und Lehren bieten oft spirituelle Ermutigung und Weisheit, dabei helfen können, mit Angst umzugehen. Die Auseinandersetzung mit religiösen Schriften kann Einsichten und Perspektiven liefern, die dabei helfen, schwierige Situationen besser zu verstehen und zu bewältigen.
- Vertrauen in einen größeren Plan: Der Glaube an einen größeren Plan oder an eine göttliche Vorsehung kann für Menschen hilfreich, ihre Ängste zu relativieren und sich darauf zu verlassen, dass alles letztendlich einen Sinn hat, auch wenn dieser im Moment nicht klar ersichtlich ist.
Die Textzeile „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ im Song „Verlorenes Paradies“ stammt ebenfalls aus dem Neuen Testament der Bibel. Dieses Zitat, oft als „Finsternisruf“ bezeichnet, ist eines der bekanntesten Aussprüche Jesu während seines Leidens am Kreuz. Es reflektiert die tiefe menschliche Verzweiflung und Einsamkeit, die Jesus in diesem Moment empfand. Indem er diese Worte ausspricht, vermittelt Jesus nicht nur seinen eigenen Schmerz und seine Verlassenheit, sondern bringt auch die menschliche Erfahrung von Leiden und Zweifel zum Ausdruck. Dieses Zitat wird interpretiert als Ausdruck der menschlichen Seite Jesu, die trotz seiner göttlichen Natur die Erfahrung von Leiden und Einsamkeit teilt. Es soll Gläubige daran erinnern, dass selbst in den dunkelsten Momenten des Lebens Gott präsent ist und dass das Leiden einen Platz in der göttlichen Ordnung hat.
Was sagen existenzialistische Philosophen über die Angst vor dem Tod?
Existenzialistische Philosophen wie Jean-Paul Sartre, Martin Heidegger, Albert Camus und Søren Kierkegaard haben sich intensiv mit Fragen der Angst und der Existenz auseinandergesetzt. Im Existenzialismus wird die Angst oft als eine grundlegende Erfahrung des menschlichen Daseins betrachtet. Anders als in religiösen Kontexten, wo Angst möglicherweise durch den Glauben an eine höhere Macht oder einen übergeordneten Sinn gemildert werden kann, betont der Existenzialismus, dass die Angst eine untrennbare Realität des menschlichen Lebens ist. Diese Angst entspringt aus der Tatsache, dass der Mensch frei und für seine eigenen Entscheidungen verantwortlich ist, jedoch mit einer grundlegenden Unsicherheit konfrontiert ist, da es keinen vorherbestimmten Sinn oder Zweck gibt.
Jean-Paul Sartre (1905 – 1980) beschreibt die Angst als eine Erfahrung der „Absurdität“ des Lebens, in der der Mensch sich der eigenen Freiheit und Verantwortung bewusst wird, ohne gleichzeitig eine objektive Grundlage für sein Handeln zu haben. Albert Camus argumentiert in „Der Mythos des Sisyphos“ ähnlich und spricht von der „absurden“ Situation des Menschen, der sich in einem sinnlosen Universum befindet.
Dennoch schlagen Existenzialisten keine Lösungen für die Angst vor, sondern betonen die Notwendigkeit, sich dieser Existenzrealität zu stellen und trotzdem weiterzuleben. Dies kann bedeuten, dass man sich seiner Freiheit bewusst wird und authentisch lebt, indem man seine eigenen Werte und Entscheidungen annimmt, auch wenn diese keine objektive Gewissheit oder Sicherheit bieten.
In diesem Sinne betont der Existenzialismus oft die Idee der „Existenz vor Essenz“, was bedeutet, dass der Mensch existiert, bevor er einen festgelegten Zweck oder eine feste Identität hat. Dies kann für einige Menschen befreiend sein, da es bedeutet, dass sie die Freiheit haben, ihre Existenz und ihren Lebenssinn selbst zu gestalten, aber es kann auch beängstigend sein, da es bedeutet, dass sie mit der fundamentalen Unsicherheit und Absurdität des Lebens konfrontiert sind, ohne klare Antworten oder Richtlinien zu haben.